Auch ich grüße Sie ganz herzlich zur Eröffnung der Ausstellung "gewässer, gewässer!" mit Werken von Jens-Peter Mardersteig und habe die große Ehre anstelle des leider erkrankten Prof. Bracker
einen Lobgesang auf diesen Unversalkünstler anzustimmen. Ich möchte dieses Lied in drei Strophen erzählen, die festgemacht sind an drei Begegnungen mit Hr. Mardersteig – wobei er von der letzten
Begegnung bis heute noch nichts weiß.
1. Erste Begegnung im Jahr 2010 anlässlich eines Buchprojekts
Mein erster Kontakt mit Herrn Mardersteig ergab sich im Zuge der Recherchen für das Buchprojekt TRENDS UND LIFESTYLE HOLSTEINISCHE SCHWEIZ im Jahr 2010.
Wir hatten einen Termin und ich klingelte an seiner Haustür und zu meiner großen Überraschung öffnete ein fröhlich-freundlich drein blickender Ihnen bald auch bekannter Jens-Peter Mardersteig die
Tür. Wir stiegen einige Treppen hoch und da war sie, die Gelehrtenstube.
Zwischen Bücherwänden und Stapeln von Kunstwerken lebt Jens Peter Mardersteig in Bad Malente unter dem Dach einer Gründerzeitvilla. Er ist ein kongenialer Dichter, Denker und Künstler.
Mardersteigs Vielseitigkeit spiegelt sich wider in einem komplexen Oevre: poetische Texte, theoretische Essays, ungegenständliche „neokonkrete" Malerei und gegenständliche Arbeiten auf Papier
entstehen in Parallelführung. Er sagte damals: "Bei mir sind Dichtung und Visuelles schon immer verbunden gewesen." Er sagte auch: "Die Gedanken, die mich leiten, sind abstrakt, aber mein
Werk ist konkret." Gegenständlichkeit ist bei Mardersteig vorwiegend landschaftsbezogen und bleibt medial ausschließlich dem Papier, Bütten zumal, vorbehalten.
"Kann man nach Monet ein Landschaftsbild auf Leinwand malen?", fragte er damals als ein Kind der Kunstkrise der 70er-Jahre und sagte: "Ich meine nicht. Aber auf Papier sehr wohl." Er schreibt dazu in unserem Buch:
Mardersteigs Kunst steht in der Spannung von Rationalität und Sensualismus. Während sich die rationale Seite in der eher begrifflichen Welt der experimentellen Texte, aber auch in der geometrisch
fundierten „neokonkreten" Malerei äußert, findet das spontane Temperament des Künstlers sein Gleichgewicht in den sensuellen „Wahrnehmungs-Protokollen", den Aquarellen als den Formen
bildnerischer Selbstvergewisserung innerhalb der ihn umgebenden Natur.
2. Zweite Begegnung mit Jens Peter Mardersteig in freier Natur
Zu Jens Peter Mardersteig hatte ich sofort einen guten Draht. Das mag unter anderem daran liegen, dass wir uns beide im Hamburger Philosophenturm viele Jahre lang der Liebe zur Weisheit
hingegeben haben. Zum Teil haben wir bei den selben Lehrern Philosophie studiert, nur ein paar Jahre zeitversetzt.
Ich werde nie vergessen, wie meine Frau Anja, die mich bei den Recherchen und der Textarbeit für unser Buch tatkräftig unterstützt hat, und ich an einem sonnigen Sommertag eine schöne Begegnung
hatten. Da kommen wir von einem Interviewtermin vom Hotel Fährhaus Niederkleveez, fahren mit dem Auto auf eine Kreuzung zu und lassen einen schwer mit Staffelei und Leinwänden bepackten Radfahrer
passieren. Ich denke, was ist das denn für ein Freak – dann, den kenne ich doch – und bei dem Radfahrer scheint ein ähnlicher Erkenntnisprozess in Gang gesetzt worden zu sein. Wir bleiben beide
stehen und so entspinnt sich auf offener Straße ein kleiner Schnack, wie die Leute hier sagen. Das schätze ich an der Gegend hier: die Menschen nehmen sich noch die Zeit miteinander zu reden.
Dann geht wieder jeder seines Wegs. Jens Peter Mardersteig nutzte das tolle Licht für seine Landschaftsbilder, die er konsequent en plein air, also im Freien erarbeitet, und von denen übrigens
eines als Entrée unseres Buchs zu sehen ist, und wir sind dann in unsere Schreibstube gefahren.
Als Jens Peter Mardersteig am 23. Juli 1947 in Eutin, dem Weimar des Nordens geboren wurde und später hier sein Abitur absolvieren sollte, scheint der künstlerischer Weg familiär vorherbestimmt
zu sein. Er ist ein Urenkel des Weimarer Historienmalers Friedrich Wilhelm Martersteig (der sich in „Mardersteig" umbenannte) und des spätklassizistischen Düsseldorfer Bildhauers Gustav Blaeser,
ferner ein Neffe des in Weimar geborenen und in Verona gestorbenen deutsch-italienischen Verlegers, Buchdruckers, Typograf, Buch- und Schrifthistorikers Giovanni Mardersteig.
Nach dem Abitur erlernt er die Schriftkunst von der Pike auf in einer Buchdruckerei, eine Ausbildung, die, wie er betont „mir ein Leben lang für die Auseinandersetzung mit meinem Werk nützt".
Insbesondere findet sich das bestätigt im angewandten Bereich, der visuellen Kommunikation, nicht nur eigener Werbemittel, sondern auch dem Verlagsdesign: so hat er dem Hamburger Felix Meiner
Verlag die grafische corporate identity gegeben, wurde seine Einbandgestaltung der Edition des Gesamtwerks des Philosophen Ernst Cassirer preisgekrönt. Mardersteig entwickelte das Signet des
Felix Meiner Verlags und das Signet der Philosophischen Bibliothek - Sie kennen die Bücher, das sind die Grünen. Es gibt kaum einen großen Philosophen, der auf diese Art nicht mit dem Namen
Jens-Peter Mardersteig verbunden wäre. In allen Bänden steht: Umschlaggestaltung: Jens-Peter Mardersteig.
An der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studierte Mardersteig zunächst bei Hans Thiemann, danach als Meisterschüler bei dem großen Vertreter der Konkreten Kunst der Op-Art und der
Gebrauchsgrafik Almir Mavignier, Ästhetik bei Max Bense und Bazon Brok. Philosophie studierte er dann an der Universität Hamburg bei seinem Lehrer Klaus Oehler. Heute arbeitet Jens Peter
Mardersteig im Herz der Holsteinischen Schweiz, „der Landschaft", wie ersagt, „die mich mit ihren Buchenwäldern und Seen geprägt hat".
In Fachkreisen zählt er schon seit langem zu den spannendsten Künstlern seiner Generation.
Wie vielseitig sein Schaffen ist lässt sich im Internet zumindest für die vergangenen Jahre teilweise rekonstruieren, obgleich Jens Peter Mardersteig einer der wenigen mir bekannten Künstler ist,
die sich konsequent den digitalen Medien verweigern, dafür aber umso aktiver in der analogen Welt sind:
• da finden sich Buchbeiträge wie in Klaus P. Denckers Kompendien "Wörterwechsel - Poetische Sprachspiele" oder "Optische Poesie: Von den prähistorischen Schriftzeichen bis zu den digitalen
Experimenten der Gegenwart"
• da erscheint konkrete Poesie von Jens-Peter Mardersteig bei Reclam
• dann findet sich ein Diskussionstermin zum Thema "Bewegung und Kunst" im Programm der Reihe KUNST IM KURPARK zu Bad Malente.
• auf YouTube steht der kurze Film, den wir exklusiv in der Küche des Künstlers gedreht und zum Frühlingsbeginn 2010 mit
einem Gedicht von Jens Peter Mardersteig online gestellt haben. Bis heute wurde das Video beachtliche 548 mal abgerufen.
• eine Reihe seiner Aquarelle sind auf Initiative der Sparkassen-Kulturstiftung Ostholstein ebenfalls seit 2010 dauerhaft im Haus des Kurgastes hier in Bad Malente zu sehen
• da finden sich Ausstellungen der konkreten Poesie im Haus des Mikado-Verlags oder zum Thema "Waldbilder" im Eutiner Kultur Cáfe Klausberger
• Lesungen im Kunstladen 101 und die Rezitation experimenteller Poesie in der Galerie ab-heute.net
• bei der VHS-Süsel ist eine Vorlesungsreihe zur Geschichte der Landschaftsmalerei und über die Entfaltung des ästhetischen Begriffs "Landschaft" gelistet
• da wird ein als anstrengend rezensiertes Referat zur Eröffnung der Horst-Weber-Ausstellung in der Kunsthalle Bremerhaven erwähnt
• mal wird er als Mitglied der Stuttgarter Gruppe in der zweiten Generation bezeichnet
• dann mischt er wieder beim sprachlichen Konzept des interkulturellen Festivals eigenarten in Hamburg mit
...und, und, und.
Sie sehen, Jens-Peter Mardersteig wird seinem Ruf als kosmopolitischer kongenialer Künstler mehr als gerecht.
Dabei ist er durchaus selbstkritisch. Bei unserem Küchen-Gespräch sagte er: "Ich muss in den Werken die Bewusstseinslage, in die ich epochal getaucht bin, Rechnung tragen. Als Künstler muss man
gut informiert sein, man braucht eine übermäßige Einbildungskraft und muss spontan sein können. Dann sollte eine gewisse Rationalität vorhanden sein, in dem Sinne, dass der Künstler analytisch an
seine Arbeit rangeht und fragt, ob dies, gemessen an vorhandenen Werken, legitimierbar ist oder nicht? Das tue ich, damit ich nicht in einen Wiederholungs-, das heißt Verkitschungsfall gerate."
3. Dritte Begegnung mit Jens Peter Mardersteig (von der er bislang nichts weiß)
Da sitzen meine Frau und ich im vergangenen Jahr an unserem Hochzeitstag in einem beheizten Wintergarten an der Promenade in Bad Malente und schlürfen an diesem frischen Junimorgen heiße
Getränke. Tritt ein Mann an das Seeufer, streift seine Kleider ab und hüpft in den Diecksee, schwimmt als weit und breit einziger Badegast weit raus und prustet, schnauft und aalt sich, dass es
eine wahre Freude ist. Wir fragen uns angesichts der fast schon eisigen Schafskälte, was das für ein hartgesottener Bursche ist? Es war soooooo kalt. Nun, ich glaube, Sie können sich denken, wer
das war.
Vielleicht hat ihn ja das dazu bewogen, seine aktuelle Ausstellung "gewässer, gewässer!" zu nennen. Allein schon der Titel zeugt von höchstem Wagemut und größter Unbekümmertheit. Was bewegt einen
Künstler der Holsteinischen Schweiz ausgerechnet in diesem Landstrich dazu, das Wasser in den Mittelpunkt seines Schaffens zu stellen? Ich kann mir das jedenfalls nicht erklären. Doch machen Sie
sich selbst ein Bild davon, wie Hr. Mardersteig seine abstrakten Gedanken in konkrete Werke umsetzt. Und vielleicht gibt der Künstler ja selbst auch noch die eine oder andere Erklärung dazu
ab.
Ich danke für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Spaß bei der Ausstellung "gewässer, gewässer!"
Herbert Hofmann am 27. August 2013